PolG NRW – Mitgliederversammlung Kreisverband Oberberg
Am 22.11.2025 angenommen, keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen
Liebe Freundinnen und Freunde,
nächste Woche steht im Landtag die Entscheidung über die Novelle des Polizeigesetzes NRW auf der TO. Unsere LTF hat angekündigt, dem Gesetz zuzustimmen. Aus unserer Sicht gibt es jedoch zentrale Punkte in dieser Novelle, die im direkten Widerspruch zu den Grundwerten stehen, die uns als Grüne ausmachen.
Zur Erinnerung:
Wir Grüne stehen für die Überzeugung, dass unsere Gesellschaft, unsere Minderheiten aktiven Schutz und staatliche Befugnisse klare Grenzen brauchen. Das gilt heute gerade dort, wo neue Technologien diese Grenzen verschieben.
Wir sind die Partei, die
- digitale Selbstbestimmung verteidigt,
- Vorratsdatenspeicherung ablehnt,
- Chatkontrolle zurückweist,
- und datengetriebene Analysesysteme kritisch prüft.
Vertrauen entsteht nicht durch immer umfassendere Datensammlungen, sondern durch verantwortlichen Umgang mit Daten. In einer Landtagsrede 2020 fand unsere heutige Fraktionsvorsitzende in Düsseldorf, Verena Schaeffer, deutliche Worte an Innenminister Reul:
„Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist das Ergebnis katastrophal: Die Daten tausender Personen sind polizeilich verarbeitet worden – ohne dass diese hierzu einen Anlass gegeben hätten.“
Diese Haltung haben wir in unserem Wahlprogramm 2022 bekräftigt:
„Flächendeckende und anlasslose Videoüberwachung, Software zur Erkennung biometrischer Merkmale und eine weitere Nutzung der Palantir-Software ohne die Zustimmung der Landesdatenschutzbeauftragten und ohne eine gesetzliche Grundlage lehnen wir ab. Wir stehen für eine rationale, verhältnismäßige Innenpolitik, anstatt Bürgerinnen und Bürger unter einen Generalverdacht zu stellen. Die Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz wollen wir im Rahmen einer Überwachungsgesamtrechnung fortlaufend überprüfen.“
Fünf Jahre später, nun in der schwarz-grünen Koalition, stehen wir vor einer Novelle des Polizeigesetzes, die dieses „katastrophal“ nicht nur wiederholt, sondern systematisch ausbaut.
Damit steht § 24b in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu dem Grundsatz, dass staatlich erhobene Daten, insbesondere von Unbeteiligten, nicht zur Optimierung kommerzieller Überwachungsprodukte zweckentfremdet werden dürfen.
Ein Landesgesetz, das
- Echtdaten von Zeug*innen, Opfern und Anzeigenerstattenden für Trainingszwecke freigibt,
- auf Palantir-basierte Data-Mining-Strukturen setzt, die von GFF (Gesellschaft für Freiheitsrechte) als „grundrechtliches Schwarzes Loch“ kritisiert werden,
- und den vom BVerfG gerügten Bereich polizeilicher Datenauswertung nicht klar verfassungsfest einhegt,
steht aus Sicht des Kreisverbands in deutlichem Widerspruch zu diesen genannten Beschlüssen und Positionierungen und zum Selbstverständnis der Partei als Bürgerrechtspartei.
Schauen wir genau hin:
- 24b PolG NRW – Echtdaten für KI-Training
Die Polizei soll künftig un-anonymisierte Echtdaten verwenden dürfen – Klarnamen, Gesichtsbilder, Aussagen von Betroffenen, Zeug*innen und Unbeteiligten – um Software, Algorithmen und KI-Systeme zu testen und zu trainieren. Das ausdrücklich auch dann, wenn eine Anonymisierung als „unverhältnismäßig“ gilt.
- 23 Abs. 6 / 6a PolG NRW – automatisierte Analyse
Diese Normen erlauben die weitergehende automatisierte Auswertung polizeilicher Datenbestände: Profiling, Mustererkennung, Verknüpfung verschiedener Quellen. Das Bundesverfassungsgericht hat vergleichbare Systeme 2023 in Hessen und Hamburg gestoppt. Begründung: fehlende Eingriffsschwellen, unklare Zweckbindung, mangelnde Transparenz.
Verdeckte Maßnahmen
Zudem sollen verdeckte Maßnahmen auf ein Schutzgut ausgeweitet werden, das inhaltlich kaum begrenzt ist: „Bestand oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes“. Eine politisch dehnbare Formulierung ohne klare Kontur.
Verbesserung Gewaltschutz geht auch verfassungskonform
Der Entwurf enthält nach derzeitiger Lesart auch Verbesserungen beim Schutz vor Gewalt, insbesondere die Verlängerung von Wegweisungen zum Schutz von Gewalt betroffenen Frauen. Diese Stärkung des Gewaltschutzes ist aus Sicht des Kreisverbands ausdrücklich zu begrüßen.
Gerade deswegen ist es problematisch, wenn dieselben polizeilich erhobenen Daten, etwa aus Fällen häuslicher Gewalt, Stalking oder Bedrohungssituationen, nach § 24b PolG NRW n. F. auch für das Training von IT-Produkten mit Echtdaten genutzt werden dürften. Betroffene von Gewalt müssen sich darauf verlassen können, dass ihre sensiblen Daten ausschließlich zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verwendet werden und nicht in Trainingssätzen kommerzieller Überwachungssoftware landen.
Einordnung durch die Landesdatenschutzbeauftragte NRW
Die Landesdatenschutzbeauftragte NRW betont in ihren Berichten regelmäßig, dass polizeiliche Datenverarbeitung nur bei enger Zweckbindung, klaren gesetzlichen Eingriffsschwellen und strikter Verhältnismäßigkeit zulässig ist. Sie weist außerdem darauf hin, dass Analyseverfahren der Polizei regelmäßig auch Daten Unbeteiligter betreffen können und deshalb besonders eng geregelt werden müssen. Sie sieht „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ und (das Gesetz) sei insbesondere für Daten von Menschen, die als Zeug*innen, Opfer oder Anzeigenerstattende in der Polizeidatenbank landen, unverhältnismäßig. Außerdem seien die Ausnahmen von der Anonymisierungs- und Pseudonymisierungspflicht so weit, dass sie „in der Praxis letztlich zu keiner Einschränkung führen werden“.[1]
Wir sehen drei rote Linien
- Keine Echtdaten von Opfern, Zeug*innen oder Unbeteiligten für KI-Training.
Das gefährdet Vertrauen – und Vertrauen ist Grundlage von Sicherheit. - Keine automatisierten Datenanalysen ohne klar geregelte, verfassungskonforme Eingriffsschwellen.
Das Bundesverfassungsgericht war eindeutig. Wir ignorieren das nicht. - Keine dehnbaren Schutzgüter wie „Bestand oder Sicherheit eines Landes“.
Demokratie braucht klare Begriffe.
Warum wir diesen Antrag stellen müssen
Versteht bitte: Dieser Antrag richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Polizei. Er setzt sich ein für evidenzbasierte Politik. Sicherheit entsteht nicht durch ein mehr an Überwachung, sie entsteht durch Rechtsstaatlichkeit. Dies bekräftigen wir in unserem Grundsatzprogramm[2], gerade positionierten sich u.a. Alexandra Geese, Franziska Brantner, Sergey Lagodinsky, und Konstantin von Notz:
„Wir lehnen jede Form digitaler Massenüberwachung ab, von der Chatkontrolle über die anlasslose Vorratsdatenspeicherung und öffentliche Gesichtserkennung bis hin zum Einsatz von Palantir-Software.“[3]
[1] (Stellungnahme der LDI zum Gesetzentwurf, zitiert u. a. bei netzpolitik.org).
Die entsprechende Passage ist zitiert und eingeordnet im Beitrag von netzpolitik.org:
„Polizeigesetz: Auch NRW will mit deinen Daten Überwachungs-Software füttern“, 11.11.2025:
https://netzpolitik.org/2025/polizeigesetz-auch-nrw-will-mit-deinen-daten-ueberwachungs-software-fuettern/. Nach der Analyse von netzpolitik.org soll die Polizei NRW künftig eindeutig identifizierende Informationen wie Klarnamen oder Gesichtsbilder in kommerzielle Überwachungssoftware wie beispielsweise die von Palantir einspeisen dürfen; möglich sei so auch das Training von Verhaltens- und Gesichtserkennungssoftware, ohne die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Einschränkungen tatsächlich umzusetzen.
(netzpolitik.org, 11.11.2025)
[2] Im aktuellen Grundsatzprogramm „Veränderung schafft Halt“ (beschlossen 2020) wird ein freiheitlicher Rechtsstaat gefordert, der Grund- und Freiheitsrechte, insbesondere im digitalen Raum, schützt und staatliche Überwachung strikt begrenzt:
171) Ein Mensch ohne Privatsphäre ist niemals frei. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Nichtdiskriminierung bei der Verarbeitung von Daten sind sicherzustellen, sowohl beim Staat als auch bei privaten Akteur*innen. Daten und Menschenrechtsschutz, die
informationelle Selbstbestimmung, die informationstechnische Integrität und Sicherheit gilt es entschlossen zu verteidigen und auszubauen. Die Verantwortung dafür darf nicht allein auf das Individuum abgeschoben werden. Entsprechend sind kollektive Schutz und Abwehrrechte sowie die digitale Souveränität zu stärken. Digitale Angebote anonym nutzen zu können, erfüllt eine wichtige Schutzfunktion und ist zugleich Ausdruck digitaler Freiheit und Selbstbestimmung, insbesondere für vulnerable Gruppen.
– Grundsatzprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, beschlossen auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2020: https://cms.gruene.de/uploads/assets/20200125_Grundsatzprogramm.pdf
[3] Diese Haltung wird im Beitrag „Das Internet befreien! Freiheit im Internet garantieren!“ vom 06.11.2025, BÜNDNIS 90/DIE bekräftigt
Vor diesem Hintergrund sind die geplanten Regelungen – insbesondere § 24b – aus unserer Sicht hochproblematisch.
Auch Koalitionstreue muss Grenzen haben. Diese Grenze sollte selbstredend erreicht sein, wenn es um die Einhaltung verfassungsrechtlicher Grenzen geht. Wir alle haben die Debatten um Peter Thiel verfolgt. Doch es geht nicht nur um Palantir. Diese Überwachungsbefugnisse sind auch vermeintlich europäisch souverän gedacht abzulehnen. In England wurden Patientendaten schon in Palantir eingegeben. Wir dürfen Menschen nicht gläsern, verfolgbar und „katalogisierbar“ machen. Wir als Bündnispartei stehen für Bürgerrechte und evidenzbasierte Sicherheitspolitik. Grundrechte dürfen nicht in technischen Ausnahmebestimmungen verschwinden. Es gibt Kompromisse und es gibt die Büchse der Pandora. Sabine hat in der letzten Legislatur gegen das Sicherheitspaket gestimmt, aus genau diesen Gründen. Wir brauchen heute euer Rückgrat. Denn das hier ist kein Kompromiss, es ist das Öffnen der Büchse der Pandora in Zeiten, in denen wir unsere Bürgerrechte vehementer denn je verteidigen müssen. Technik soll den Menschen dienen. Nicht neolibertären Tech-Monopolisten, die unsere Demokratie aufkaufen und abschaffen wollen.[1]
Bitte seid das, was wir seit Hans-Christian Ströbele und Petra Kelly mit unserer Partei verbinden:
Unbequem, wenn es darauf ankommt.
Das ist keine Revolte.
Das ist kein Aufstand.
Es ist die Rückkehr zu uns selbst.
Wir bitten Euch um Zustimmung zu diesem Appell.
Gummersbach, 22.11.2025
Eure
Sabine Grützmacher Marie Brück
[1] Le monde: United States of Palantir: https://monde-diplomatique.de/artikel/!6113232
Bildbeschreibung:
Antrag – KMV
Ablehnung des „Achten Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes NRW“ (PolG NRW) und Aufforderung an die Landtagsfraktion, dem Gesetz nicht zuzustimmen
Kreisverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Oberberg
Antrag PolG NRW – KMV 22112025
Beschlusstext
Der Kreisverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Oberberg fordert die Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NRW auf:
- dem Achten Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes NRW (Drs. 18/15921) sowie dem Änderungsantrag (Drs. 18/16421) in der vorliegenden Form nicht zuzustimmen;
- eine zweite Anhörung durchzuführen, unter verpflichtender Einbeziehung
- der digitalen Zivilgesellschaft,
- der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW (LDI NRW),
- sowie einschlägiger Grundrechteorganisationen (insbesondere der GFF);
- den neu geplanten § 24b PolG NRW („Einsatz von Echtdaten für Training von IT-Produkten“) vollständig abzulehnen;
- die automatisierten Datenanalysebefugnisse (§ 23 Abs. 6/6a PolG NRW) nicht zu verabschieden, bis eine verfassungskonforme, klar bestimmte und eng gefasste Eingriffsschwelle vorliegt – also eine eindeutig geregelte Grenze, ab wann die Polizei überhaupt in Daten eingreifen darf – gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts („Hessendata“);
- die Ausweitung verdeckter Maßnahmen auf das Schutzgut „Bestand oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ zu streichen,
da diese Formulierung politisch dehnbar und missbrauchsanfällig ist; - eine umfassende Überarbeitung des Gesetzesentwurfs zu verlangen,
orientiert an- Grundrechten,
- Datenschutz,
- Transparenz,
- der Grundsatzprogrammatik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Leider wurde nun im Landtag NRW am 26.11.2025 die Novelle des PolG NRW auch mit den Stimmen unserer Grünen Fraktion unverändert beschlossen.
