Klimakrise, Ukrainekrise, Energiekrise- wir sind seit vielen Jahren schon im Multikrisenmodus. Die Coronapandemie unterbrach globale Lieferkettten, jetzt muss dringend auf regionalere Wirtschaftskreisläufe umgesteuert werden. Der Fachkräftemangel behindert viele dringend nötige Entwicklungen und hemmt die Wirtschaft. Genauso ist es mit den Gefahren durch eine unsichere Energieversorgung- hier hat gerade die Beratende Versammlung Oberberg der IHK Köln ein sorgenvolles Papier herausgegeben:
Vor diesem Hintergrund kommt der Ausbau der Erneuerbaren Energien in unserem Kreis viel zu schleppend voran. Der Kreistag hatte im Oktober in seltener Einigkeit deren Ausbau beschlossen, jetzt müssen Taten folgen. Dabei muss klar sein: Für die notwendigen großen Schritte braucht es einen starken Ausbau besonders der Windenergie. Natürlich muss es auch das Ziel sein, auf möglichst jedes Dach PV-Module zu bringen. Dabei bieten sich die großen Dachflächen von Gewerbe und Industrie ganz besonders an. Aber eine moderne Windenergieanlage produziert in einem Jahr soviel Strom wie Photovoltaik auf 6 ha!
"Wir haben angesichts des auf 2030 vorgezogenen Kohleausstiegs große Bedenken, wie eine sichere Energieversorgung mittelfristig gewährleistet werden kann. Die Wirtschaft in der Region sorgt sich, dass ohne Aussicht auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung Unternehmen – insbesondere energieintensive Betriebe – in NRW de-investieren und sich dort niederlassen, wo die elementaren Rahmenbedingungen sicher gewährt werden Dies gilt auch für den industriell geprägten Wirtschaftsraum Oberberg mit energieintensiven Unternehmen der Stahlerzeugung und -verarbeitung sowie der Kunststoffverarbeitung. Die IHK Köln erwartet von der Politik einen verbindlichen, beschleunigten Einstiegs- und Umsetzungsplan für regenerative Energien. Dieser muss realistisch aufzeigen, wie durch den Aufbau der regenerativen Energien der Ausstieg aus der Kohle bis 2030 funktionieren kann, ohne dass es zu einer instabilen oder lückenhaften Versorgung kommt...."
Beratende Versammlung Oberberg der IHK Köln
Die Entscheidung, wo WEA gebaut werden können, liegt dabei zuerst bei den Kommunen. Auch wenn der Oberbergische Kreis als Baugenehmigungsbehörde die letzte Entscheidung zu treffen hat, müssen alle Standorte vor Ort diskutiert und befürwortet werden, denn dort müssen die Menschen mit diesen Anlagen leben. Dabei wollen und dürfen wir nicht über die berechtigten Sorgen und Interessen der Bürger:innen hinwegsehen. Landschaft und Natur müssen so gut als möglich geschützt werden, besonders dem Vogelschutz kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Es muss uns aber klar sein: Ohne spürbare Veränderungen auch hier im Oberbergischen Kreis werden wir unsere Lebensgrundlagen nicht erhalten können. Die Landschaft wird sich verändern- das muss uns klar sein.
Dafür wollen wir die Menschen hier gewinnen. Der Ortsverband Nümbrecht hat deshalb am 12.Januar zu einer Informationsveranstaltung eingeladen- und Hunderte kamen! Konkret ging es darum, für ein JA im Ratsbürgerentscheid zu werden. Denn der Nümbrechter Rat hat beschlossen, eine grundsätzliche Entscheidung allen Bürger:innen zu überlassen.
Zur Abstimmung steht die Frage:
„Sind Sie damit einverstanden, dass die Gemeindewerke Nümbrecht GmbH (GWN) Windkraftanlagen auf dem Gebiet der Gemeinde Nümbrecht zur Eigenversorgung der Bürger und Bürgerinnen sowie der Nümbrechter Gewerbebetriebe errichten?“
Wir werben für ein JA. Dazu haben Günter Pulte (Landwirt und Geschäftsführer der RothaarWind GmbH, Manfred Fischer (NOVE e.V. und Klimabündnis Oberberg) sowie Seb Schäfer (B’90/ DIE GRÜNEN, Geschäftsführer Kreisverband und Kreistagsfraktion) Gründe für eine breite Zustimmung zum Ausbau der Windenergie in Bürgerhand erklärt. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Fraktionssprecherin von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN im Rat der Gemeinde Nümbrecht, Andrea Saynisch. Sie rief die Zuhörer:innen nachdrücklich dazu auf, die Argumente der Windkraftgegner auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen: „Checken sie die Fakten, wenn Ihnen jemand etwas zur Windkraft erzählt!“
Denn dass diese Pläne nicht unumstritten sind, ist allen Beteiligten klar.
Das Podium im Kursaal: (v.links) Manfred Fischer, NOVE e.V. und Klimabündnis Oberberg; Günter Pulte, Landwirt und Geschäftsführer der Rothaarwind GmbH & Co KG, Moderatorin Andrea Saynisch, grüne Fraktionssprecherin im Gemeinderat sowie Seb Schäfer, B’90/ DIE GRÜNEN, Geschäftsführer Kreisverband und Kreistagsfraktion (Bild Marie Brück)
Denn dass diese Pläne nicht unumstritten sind, ist allen Beteiligten klar. Das Landschaftsbild wird verändert, es gibt Beinträchtigungen für die nächsten Anwohner:innen und an Windenergieanlagen sterben auch Vögel, Fledermäuse und Insekten. In Nümbrecht haben sich die Gegner der Windenergie in einer Wählergemeinschaft zusammengeschlossen und sind im Gemeinderat vertreten. Sie haben diese und andere Zweifel an der Nutzung des Windes zur Stromerzeugung
u.a. in Flugblättern formuliert. Rechtfertigen diese Probleme die Ablehnung der Windnutzung in Oberberg? Wir wollen die Skeptiker mit Argumenten überzeugen und haben deshalb ihre Vorwürfe Punkt für Punkt untersucht und widerlegt. Unseren Faktencheck steht zum Download bereit, ebenso eine Sammlung von grundsätzlichen Richtigstellungen zu oft gehörten Vorwürfen von Gegnern der Windenergie.
In seinem Vortrag kam Günter Pulte schnell auf den Punkt: „Mich hat immer geärgert, dass Investoren von irgendwoher unseren Wind ernten. Und dann müssen wir den Strom teuer einkaufen. Das wollte ich ändern. Denn der Wind über Hilchenbach gehört den Hilchenbachern. Und so ist es auch in Nümbrecht. Windräder kommen so oder so, denn die Notwendigkeit dafür ist größer denn je. Aber lassen Sie sich das nicht aus der Hand nehmen, machen Sie es selber!“ rief er den über 300 Zuhörer:innen zu. Faktensicher referierte er dann zur Enstehung, den Kosten und auch Erträgen der 5 WEA des von ihm vor 16 Jahren initierten Bürgerwindparks. 90 Gesellschafter haben ihn mit ihrem Eigenkapitalanteil finanziert und profitieren seitdem von einer durchschnittlichen Rendite von über 6% p.a. Kritische Fragen zum Ressourcenverbrauch und den Kosten eines Rückbaus beantwortete Pulte ruhig und fundiert. Ermutigt durch die hohe Akzeptanz vor Ort und den wirtschaftlichen Erfolg plant Pulte nun einen zweiten Bürgerwindpark: RothaarWind II. Mit diesem wollen die Betreiber auch in die Direktvermarktung ihres Ökostroms einsteigen.
Manfred Fischer machte deutlich, wie sehr der oberbergische Kreis bei der Erzeugung von grünem Strom hinterherhinkt. Gerade einmal 8% des gesamten Energieverbrauchs im Kreis werden klimaneutral erzeugt, daran haben neben den 24 WEA auch Photovoltaik, Wasserkraft und eine Agrargasanlage ihren Anteil. „Das muss mehr werden, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Daran muss auch Nümbrecht mitwirken. Bei den Solaranlagen sind Sie schon gut, aber mit einigen modernen Windkraftanlagen könnte Nümbrecht seinen kompletten Strombedarf selber erzeugen. Und sie haben mit den Gemeindewerken sogar ein eigenes Unternehmen, dass dieses Projekt umsetzen kann. Nutzen sie diese Chance.“
Von Links: Andrea Saynisch, die Vorsitzenden des Ortsverbands Bündnis 90/Die Grünen Nümbrecht, Stefanie Bühn und Philippe Bergmann sowie die TaskForce Windkraft mit den Referenten (Bild: Rainer Gottschlich)
Eigentlich hatte Marc Zimmermann, grüner Landtagsabgeordneter aus Wiehl, auf dem Podium zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Windenergieausbaus sprechen sollen. Leider war er akut erkrankt, deswegen sprang der Kreisgeschäftsführer der Oberbergischen Grünen, Seb Schäfer, ein. Er stellte dar, dass auf allen gesetzlichen Ebenen der Ausbau der Windenergie vorangetrieben und beschleunigt werden soll. „Der Bundestag hat das Wind-an-Land-Gesetz beschlossen, es tritt am 1.Februar 2023 in Kraft. Damit werden Windenergieanlagen zu privilegierten Bauvorhaben im Außenbereich. Die Bundesregierung hat schon im letzten Jahr entschieden, dass die erneuerbaren Energien im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Das ist entscheidend, um das Ausbautempo zu erhöhen. Damit haben sie bei Abwägungsentscheidungen künftig Vorrang vor anderen Interessen.“ Alle Projekte müssen aber natürlich nach den geltenden Vorschriften genehmigt werden, und da ist die derzeit gültige Abstandsregelung von 1.000 m zur nächsten Siedlung ein echtes Problem. Aber auch die Landesregierung hat Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht. Windenergiegebiete sollen von den Kommunen zukünftig leichter ausgewiesen werden können, auch der 1.000 m Abstand wird dann fallen. Das Repowering von alten Anlagen wird deutlich erleichtert, neue Planungen sollen parallel zu einer Änderung des Landesentwicklungsplans erfolgen und in diesen dann eingearbeitet werden, um den Ausbau zu beschleunigen. „Und auch der Kreistag hat sich im letzten Oktober in seltener Einigkeit für einen landschafts- und naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien ausgesprochen und dafür eine Personalstelle zur Koordination und Beratung der Vorhaben geschaffen“, so Schäfer. „Nutzen Sie die Chancen der Energiewende für Nümbrecht. Grüner Strom wird zukünftig der günstigste Strom sein, und wenn Sie ihn selber erzeugen und verteilen, bleibt die Wertschöpfung im Ort.“